16.Oktober 2022

Hadamar

Hadamar„Wo bringt ihr uns hin?“
Diese Frage stellte ein Mann, der wie viele andere Patienten von sogenannten Landesheilanstalten von Januar bis August 1941 von einem unscheinbaren grauen Bus abgeholt und in eine Tötungsanstalt, wie sie in der hessischen Stadt Hadamar zu finden war, gebracht wurde. Dort angekommen, wurden die Menschen in einer hölzernen Busgarage ausgeladen – verborgen vor den Augen der Bevölkerung Hadamars. Im nebenstehenden Hauptgebäude wurden die Personalien der Neuankömmlinge geprüft und die Todesursache von Ärzten bereits aus 60 Optionen für die gefälschten Unterlagen festgelegt. Unmittelbar im Anschluss wurden sie in der als Dusche getarnten Gaskammer im Keller mit Kohlenmonoxid ermordet und auch sofort im hauseigenen Krematorium eingeäschert. 
Genau in dieser kalten, noch im Nebel des Vormittags gelegenen Busgarage sammelten Schüler der zehnten Klassen des Wilhelm-Remy-Gymnasium Bendorf ihre ersten Eindrücke zur ersten Phase des organisierten Massenmordes der Nationalsozialisten, genannt „T4-Aktion“, der an Personen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen durchgeführt wurde, und tauschten jeweils an einem Tag (28./29./30.09.2022) im Rahmen des Geschichtsunterrichts ihren Klassenraum gegen eine reale Begegnung mit einem nicht zu verschweigenden Teil unserer Geschichte. Anhand von Formularen, Briefen, Fotos und der Begehung des Geländes wurde spürbar, wie hoch der administrative und logistische Aufwand gewesen sein musste, um in Hadamar in der ersten Phase über 10.000 Menschen, die von den Nationalsozialisten als „lebensunwertes Leben“ betrachtet wurden, systematisch zu ermorden. Nach Bekanntwerden der Taten wurden diese auf Druck der Öffentlichkeit zunächst eingestellt, Gaskammer und Krematorien zurückgebaut und danach bis zum Kriegsende 1945 mit Hilfe von Vergiftung sowie Überdosen ersetzt und fortgeführt.
Über ihre neuen Eindrücke tauschten sich die Schüler aus, als ihre Tour auf dem Anstaltsfriedhof, der heute zu einer Gedenklandschaft umgestaltet wurde, endete.
Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen und die Erinnerung an die Ermordeten haben an diesem Tag ihre Wirkung nicht verfehlt. 
„Mensch achte den Menschen“ – diese Mahnung ist an einer Gedenkstele zu lesen.
Geraden jetzt erscheint sie uns aktueller denn je.

( - Sabrina Geimer -)